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Kerstin Lehmann

Kerstin Lehmann: EY-Parthenon

„Aus eigener Kraft kommt die Praxis sicher Stück für Stück voran. Sie braucht allerdings auch den lebendigen Austausch mit Impulsgebern aus der Wissenschaft, um sich weiterzuentwickeln.“

Viele wirtschaftliche Entwicklungen beschleunigen und verdichten sich – das hat Auswirkungen auf die BWL. Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell für Ihr Unternehmen?

Die meisten Unternehmen, mit denen ich arbeite, fragen sich vor allem, wie sie echten langfristigen Wert schaffen – und das für einen deutlich erweiterten Kreis an Stakeholdern als noch vor fünf oder zehn Jahren. Welche Entscheidungen müssen Unternehmen heute treffen, um diesen „Long-term Value“ zu generieren? Was sollten sie tun, wo müssen sie umsteuern und – oft am schwierigsten - was sollten sie lassen?

Diese Entscheidungen fällen Unternehmen in einem Umfeld, in dem sie eine drastisch steigende Komplexität unter immer höherem Zeitdruck verarbeiten müssen – unter dem kritischen Blick einer ungeduldigen und polarisierten Öffentlichkeit. Die Komplexität wird zum einen durch existenzielle Herausforderungen wie den Kampf gegen den Klimawandel und massive geopolitische Verschiebungen verursacht. Auf der anderen Seite steht die Herausforderung, über richtige Fragen, Modelle und dahinterliegende Technologien bessere Entscheidungen aus einer exponentiell steigenden Menge an Informationen zu generieren. Unternehmen, die diese Komplexität für sich und ihre Stakeholder nutzbar machen können, werden langfristigen Wert schaffen.

Welchen Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen kann die BWL leisten?

Wenn es um das Verständnis von Komplexität geht, bewegen wir uns doch im Kernbereich von Wissenschaft: Sie kann sehr viel tun, um diese Komplexität zu erforschen und mit den richtigen Konzepten und Denkmodellen greifbarer zu machen. Gerade die BWL kann helfen, passende Kategorien und analytische Modelle zu entwickeln, die in komplexen Entscheidungssituationen unterstützen können. Ich möchte sie dabei ermuntern, den Schulterschluss mit anderen Disziplinen – von Data Science über Neurowissenschaft bis Soziologie – zu suchen, um einen ganzheitlichen Blick auf die Einflussfaktoren in komplexen Entscheidungssituationen zu gewinnen. In diesem Sinne kann sie eine integrative Funktion wahrnehmen. Wichtig ist aber aus meiner Sicht auch: Inkrementale Erkenntnis ist für den wissenschaftlichen Fortschritt gut und richtig, aber die BWL sollte sich ab und an auch die ganz großen Fragen zutrauen.

Warum unterstützen Sie die VHB-Tagung?

Aus eigener Kraft kommt die Praxis sicher Stück für Stück voran. Sie braucht allerdings auch den lebendigen Austausch mit Impulsgebern aus der Wissenschaft, um sich weiterzuentwickeln. Aus eigener Dozententätigkeit weiß ich, wie inspirierend es ist, sich mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen. Aus dem wissenschaftlichen Diskurs und der Förderung von Nachwuchswissenschaftlern kommen genau die zusätzlichen Ideen und Impulse, die helfen können, die komplexen Fragestellungen unserer Zeit zu lösen.

Und sonst so?

Durch die vergangenen Pandemie-Monate haben sich nicht nur gelebte Lebens- und Arbeitsroutinen stark verändert, sondern vielfach auch die Sicht auf diese. Jetzt war vorher sicherlich vieles gut und eine Rückkehr zu „alten Routinen“ ist vielfach sinnvoll. Ich würde mir aber zusätzlich wünschen, dass diese Zäsur für die nächsten Jahre auch wieder mehr Experimentierbereitschaft und Innovation hervorbringt. Immerhin haben wir alle gelernt, dass viele Dinge, die man vorher für unmöglich oder unlösbar hielt, am Ende machbar waren.

 

 

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